Würdigung der Schülerinnen und Schüler der letztjährigen 10c: Einladung zur Lesung zum 1. Todestag von Max Mannheimer im Bayeris

Zum 1. Todestag von Max Mannheimer fand am 28.September 2017 auf Initiative der Präsidentin des Bayerischen Landtags, Frau Barbara Stamm, eine Lesung im Bayerischen Landtag statt. Da sie von der Ausstellung der 10c „99 728 – in memoriam Max Mannheimer“ erfahren hatte, lud sie die Klasse herzlich ein, an dieser Lesung teilzunehmen. Bei dieser Veranstaltung hielten Frau Barbara Stamm (CSU) und Frau Natascha Kohnen (SPD) beeindruckende Reden. Dankenswerterweise haben beiden Rednerinnen einer Veröffentlichung ihrer Texte auf der Homepage des Grafinger Gymnasiums zugestimmt.

 

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Lesung zum 1. Todestag von Max Mannheimer

am 28. September 2017, um 19.00 Uhr

im Maximilianeum

 

Ansprache von Barbara Stamm, MdL

Präsidentin des Bayerischen Landtags

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Sehr geehrte Familien Mannheimer und Faessler,

sehr geehrter Herr Naor,

sehr geehrter Herr Grube,

sehr geehrte Frau Präsidentin Knobloch,

sehr geehrte Schwester Elija,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus dem Bayerischen Landtag,

sehr geehrte Damen und Herren,

 

auf den Tag genau vor einem Jahr hat der Bayerische Landtag während der Plenarsitzung Max Mannheimers gedacht. Uns allen wurde damals schmerzlich bewusst: Mit seinem Tod ist einer der letzten und bekanntesten Zeitzeugen der nationalsozialistischen Verbrechen für immer von uns gegangen. Für seine besondere Verbundenheit mit der bayerischen Volksvertretung sind wir ihm zu größtem Dank verpflichtet.

Max Mannheimer hat uns in seinen Zeugnissen und in seiner Kunst ein reiches, ein wertvolles Erbe hinterlassen. Unsere Aufgabe und unsere Verpflichtung muss es sein, es zu bewahren und dafür zu sorgen, dass es unauslöschlicher Bestandteil unseres Geschichtsbewusstseins wird.

Ich darf Sie sehr herzlich zu dieser Lesung zum 1. Todestag Max Mannheimers begrüßen. Am heutigen Abend wollen wir sein vielfältiges Wirken ehren und an ihn erinnern:

  •  an den Schriftsteller, der mit seinen autobiographischen Texten unzählige Menschen erreicht hat,
  • an den Maler, dessen ausdrucksstarke Bilder jeden Betrachter in ihren Bann ziehen,
  • an den Zeitzeugen, der die Erinnerungskultur in Deutschland in beispielloser Weise geprägt hat,
  • dessen Lebensgeschichte Generationen von Schülerinnen und Schülern aufgerüttelt und berührt hat und –
  • wir erinnern an eine große Persönlichkeit. Max Mannheimer fand die Kraft, schrecklichste Erfahrungen positiv umzusetzen und unermüdlich für Frieden und Menschlichkeit

Seine nachdenkliche Rede hier im Maximilianeum beim Holocaust-Gedenk-Akt im Jahr 2015 ist mir noch sehr präsent. Lassen Sie mich zwei seiner Gedanken aufgreifen, die mich besonders beeindruckt haben. Er hat damals unter anderem gesagt:

 „Alles, auch die umfassendsten geschichtlichen Vorgänge beginnen mit persönlichen Entscheidungen. Und die sind frei. Sie sind frei, im positiven oder negativen Sinn verwirklicht zu werden. Die Taten von Auschwitz sind nicht im Affekt entstanden oder in Bedrängnis oder in Gefahr, sondern aus einer verbrecherischen Ideologie, die zum Programm gemacht wurde.“

Max Mannheimer hat damit sehr treffend die Rolle und Verantwortung des Einzelnen im gesellschaftlichen Miteinander umrissen. Wir alle sind verantwortlich für das, was um uns herum geschieht. Das ist eine Pflicht, an die wir uns immer wieder erinnern müssen. Es ist aber auch ein großes Privileg, dass wir die Möglichkeit haben, uns einzumischen. Aus diesem Grund dürfen wir dankbar und froh sein über unser heutiges Staatswesen.

Das betonte auch Max Mannheimer in seiner Rede:

„In einer Demokratie leben zu dürfen, ist nicht für alle Menschen eine Selbstverständlichkeit. Deshalb sollten wir den jungen Menschen den Wert einer Demokratie bewusst machen und sie dafür stärken, sich für demokratische Werte, für Persönlichkeitsrechte, für menschliche Würde und für Religionsfreiheit einzusetzen.“

Diesen Auftrag und diese Verpflichtung hat Max Mannheimer sehr ernst genommen und in den Mittelpunkt seines Wirkens gestellt. Wir sollten ihn auch ernst nehmen – jeden Tag. Ich glaube, nach den Ereignissen vom letzten Sonntag müssen wir uns dies noch einmal besonders vornehmen.

Dass wir dabei auf die junge Generation vertrauen dürfen, ermutigt mich. Unter den Gästen des heutigen Abends sind auch Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Grafing.

Liebe Schülerinnen und Schüler, Ihr gehört zum letzten Jahrgang Eurer Schule, der Max Mannheimer noch persönlich kennenlernen durfte. Eure Ausstellung ist deutlicher Ausdruck dafür, wie beeindruckend Eure Begegnung mit Max Mannheimer für Euch gewesen ist. Mit Eurem Projekt leistet Ihr einen wertvollen Beitrag dazu, das Andenken an Max Mannheimer zu bewahren. Und zugleich regt Ihr Eure Altersgenossen dazu an, sich mit unserem schweren geschichtlichen Erbe auseinanderzusetzen.

Von Goethe gibt es den treffenden Satz: Eine Chronik schreibt nur derjenige, dem die Gegenwart wichtig ist. – Mit Eurer Arbeit zeigt Ihr vorbildlich, dass Ihr Verantwortung übernehmt für eine friedliche und menschliche Gegenwart und Zukunft. Im Namen des Bayerischen Landtags und ganz persönlich möchte ich Euch und Euren Lehrkräften für das bemerkenswerte Engagement sehr herzlich danken. Und wenn ich Euch am Ende der Veranstaltung das Buch über das künstlerische Schaffen Max Mannheimers überreichen darf, ist das eine kleine Anerkennung für Euch und eine Erinnerung an einen besonderen Menschen.

Ich wünsche Eurer Ausstellung eine möglichst große Aufmerksamkeit und hoffe, dass auch die künftigen Generationen an Eurer Schule von Euren Erfahrungen etwas mitnehmen werden.

Euch, liebe Schülerinnen und Schüler, wünsche ich, dass Ihr Euch Euren kritischen Geist, Eure Offenheit und Eure Neugier bewahrt.

Ich darf allen danken, die den heutigen Abend vorbereitet haben und allen, die das Leben und Wirken Max Mannheimers im Anschluss mit verschiedenen Beiträgen würdigen werden: (…)

Der heutige Abend steht ganz im Zeichen des Andenkens an eine beeindruckende Persönlichkeit und an einen großartigen Menschen. Der Bayerische Landtag wird Max Mannheimers Erbe bewahren – heute und auch in Zukunft.

 

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Lesung zum 1. Todestag von Max Mannheimer

am 28. September 2017, um 19.00 Uhr

im Bayerischen Landtag

 

 Ansprache von Natascha Kohnen, MdL

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Liebe überwindet alles. Dies zu Beginn, 

 

meine sehr geehrten Familien Mannheimer und Faessler,

sehr geehrter Herr Naor,

sehr geehrter Herr Grube,

sehr geehrte Frau Präsidentin Knobloch,

sehr geehrte Schwester Elija,

sehr geehrter Herr Kollege Freller, 

geehrte Frau Landtagspräsidentin,

geehrte Kolleginnen und Kollegen aus dem Bayerischen Landtag,

meine verehrten Damen und Herren,

 

dies zu Beginn, denn: im Leben Max Mannheimers überwand die Liebe zu seiner zweiten Frau, einer deutschen Sozialdemokratin, eine Barriere von Trauma und Leid. 1945 wurde Mannheimer nach jahrelanger KZ-Haft von US-Soldaten in Oberbayern befreit. Er verließ Deutschland und schwor sich, das Land der Nazidiktatur nie wieder zu betreten. Der Blick zurück: eine Welt war zusammengebrochen, als er Auschwitz erlebte. Das ganze Menschenbild Max Mannheimers stand Kopf. 

Und doch, der Blick nach vorne bedeutete: den Wiederaufbau mitgestalten. Was bedeutet das, ein Land, eine Gesellschaft wieder mit aufzubauen, nachdem sich der tiefste menschliche Abgrund gezeigt hat? Ist es Hoffnung, ist es Trotz, ist es Glaube? Von allem etwas? 

Max Mannheimers Lebensaufgabe wurde es, junge Menschen für die Demokratie zu stärken und ihnen die Schuldgefühle zu nehmen. Für das, was in der Vergangenheit geschehen sei, könne man sie nicht verantwortlich machen. Für das, was in Zukunft geschieht, hingegen schon.

Für die Zukunft ist man dann gewappnet, wenn man mit der Vergangenheit reinen Tisch macht. Versöhnen, ohne zu vergessen. In den mehr als 30 Jahren Gespräche mit der jungen Generation machte er Geschichte fassbar. So, dass sich jeder die Frage stellen musste: „Hätte ich diese Kraft aufgebracht?“

Max Mannheimer wurde im Herbst 1946 Mitglied der SPD. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben ein besonderes Erbe, denn sie waren immer ein Feindbild in Diktaturen. Die Frage „Hättest Du diese Kraft aufgebracht?“ hat für jede und jeden von uns einen besonderen Hintergrund:

Hätten wir alle die Kraft gehabt, uns wie Otto Wels mit aufrechtem Haupt in den Deutschen Reichstag hinzustellen und dem Ermächtigungsgesetz zu trotzen? Am 23. März 1933 in der Berliner Krolloper hielt Wels die letzte freie Rede in einer Reichstagssitzung. Sozialdemokraten wurden längst von den Nazis verfolgt, bedroht und verhaftet - während Wels' Rede standen SA-Männer im Saal. Der Vorsitzende sprach trotzdem. Bei der Abstimmung waren es nur die 94 Abgeordneten der SPD-Fraktion, die ihre Stimme gegen das Diktatorengesetz und damit für die Demokratie abgaben.

Sein Credo:

„Wir sind wehrlos, wehrlos ist aber nicht ehrlos. …Die Gegner wollen uns an die Ehre, daran ist kein Zweifel. …Dass dieser Versuch…einmal auf die Urheber selbst zurückfallen wird, weil es nicht unsere Ehre ist, die bei dieser Welttragödie zu Grunde geht, das ist unser Glaube bis zum letzten Atemzug. Freiheit und Leben kann man uns nehmen - die Ehre nicht!“

Theodor Heuss, damals einer der fünf liberalen Abgeordneten, war zwar gegen das Gesetz, unterlag aber bei der Abstimmung in seiner Fraktion. Also stimmte seine Deutsche Staatspartei schließlich geschlossen zu. Heuss räumte später ein, ihn habe unmittelbar nach der Abstimmung das heikle Gefühl beschlichen, dass „ich dieses Ja nie mehr aus meiner Lebensgeschichte auslöschen könne". 

Uns stark zu machen, falls so ein Moment der Entscheidung im Leben kommt, das wollte Max Mannheimer. Damit wir wissen, wann wir Nein sagen und der Menschenverachtung klare Grenzen ziehen. Damit wie nie mit einem „Ja“ hadern müssen, das wir nie mehr aus unserer Lebensgeschichte bekommen. 

In diesem Bundestagswahlkampf wurden Helfer linker Parteien bedroht und mit „Heil Hitler“ Grüßen durch einen Leipziger Stadtteil gejagt. In diesem Jahr forderte der Fraktionsvorsitzende einer Partei im Thüringer Landtag die „180 Grad Wende in der Erinnerungskultur“. Das würde bedeuten, dass eine Veranstaltung wie heute nicht nötig - ja, sogar störend wäre. Umso mehr freut es mich, dass wir hier zusammengekommen sind, um zu stören: all diejenigen, die Geschichtsklitterung betreiben wollen und von einer uniformen, gleichgebürsteten Gesellschaft träumen. 

Im Gegenteil dazu das Erbe Max Mannheimers: das Du, das anders ist als man selber, zu respektieren und zu schützen. Jeder Einzelne in seinem Anders-Sein macht die Menschenwürde aus. Indem man das schützt, schützt man den Kern des Mensch-Seins. 

Ein Lebenswerk wie das Max Mannheimers erwies auch all denen die Ehre, die Deutschland nach der größten denkbaren menschlichen Katastrophe nicht mehr wieder mit aufbauen konnten. All diesen Menschen verdanken wir, dass wir in Freiheit leben und uns diese Frage - was wäre gewesen, wenn - nur theoretisch stellen. 

Wir haben aber alle eine Pflicht geerbt - und in diese Pflicht wollte uns Max Mannheimer nehmen, wenn er mit uns als Zeitzeuge sprach: die Pflicht, Freiheit und Demokratie zu schützen für die kommenden Generationen. Damit auch sie mit erhobenem Haupt leben können. Damit alle frei ihre Meinung äußern können, sich für die politische Partei ihrer Wahl einsetzen können und das Lebensmodell ihrer Wahl haben können. Eine Diktatur will die Menschen klein kriegen. Sie sollen sich ducken. Sie sollen demnach auch nicht für andere einstehen, die in Not sind (…).  

Treffend formulierte das Kurt Schumacher, der selber als politischer Häftling lange im KZ saß, für seine Zeit:

„Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben.“

Mögen wir alle Max Mannheimer und das, wofür er steht, zeitlebens ehren und uns in diesem Ernstfall des Friedens bewähren. 

Ich bin unendlich dankbar, seine Weisheit, seine Kraft und Offenheit und seinen einmaligen Humor erlebt zu haben. Vor allem aber seine Fähigkeit, aus den tiefsten Gefühlen zu schöpfen, die ein Menschenleben bieten kann - und dabei immer im Hier und Jetzt zu sein.

 

(Fotos: Bildarchiv Bayer. Landtag/Fotograf Rolf Poss)