HOFFNUNG

Liebe Leserinnen und Leser, hier finden Sie nun drei von den fünf prämierten Texten. 

Freuen Sie sich auf das Märchen von Sanni Walz aus der 6b und die Weihnachtsgeschichte von Juliane Braunmüller aus der 10a. Und lassen Sie sich als Kontrast dazu beeindrucken von dem Bericht von Antonia Thewalt aus der Q 12 über den Protest in Lützerath. 

Gewonnen haben außerdem Sophie Musiel und Amina Mulic aus der 6c, die beide keine Veröffentlichung ihrer Texte wünschen. 

Dr. Susanne Lämmermann

 

Der Stein der Hoffnung (Sanni Walz, 6B)

Vor langer, langer Zeit lebte in einem fernen Land voller Magie und Wunder ein mächtiger König. Dieser König hatte nur eine Tochter, ihr Name war Alice. Sie war sein ganzer Stolz. Und als sie alt genug war, um zu heiraten, beschloss er, einen großen Ball zu veranstalten. Zu diesem Ball wurden alle edlen und wohlhabenden jungen Männer des Landes eingeladen, denn der König wollte nur das Beste für seine Tochter.

Doch Alice war anders als ihr Vater. Sie machte sich nichts aus Reichtum, Ballkleidern, Schmuck und Macht. Sie war, wie soll man das sagen? Aufmüpfig und eigenwillig. Sie ritt lieber stundenlang, schweigend, der Natur lauschend durch den Wald, sammelte Beeren und Pilze und kletterte auf Bäume. Doch das konnte ihr Vater nicht akzeptieren, schließlich war er der Herrscher des Landes und welcher Herrscher hatte schon eine reitende, sich nur im Wald rumtreibende Tochter?

So begab es sich, dass der Ball an einem lauen Sommerabend im prachtvoll geschmückten Schloss des Königs abgehalten wurde. Viele junge Grafen und Barone kamen, um das Herz der Prinzessin zu erobern. Doch Alice war das egal. Ihr Kleid war zu eng, die Ohrringe zu schwer und sie hatte weder Lust auf Tanzen noch darauf, sich die Heldentaten der Kandidaten anzuhören. Genervt ging sie nach draußen, um frische Luft zu schnappen. Und da passierte es! 

Alice hörte eine sanfte Stimme hinter sich: „Möchten Sie vielleicht ein Glas Champagner?“. Erschrocken drehte sie sich um und sah in zwei unergründlich tiefblaue Augen, ihre Knie wurden weich und sie wusste nicht, wie ihr geschah. Es war die sprichwörtliche Liebe auf den ersten Blick, doch der Mann, der vor ihr stand, war einer der Diener ihres Vaters. Alice antwortete zittrig, vor lauter Schmetterlingen im Bauch: „Ja, gerne“ und wurde dabei fürchterlich rot im Gesicht. Der Diener namens Simon reichte ihr ein Glas und lächelte sie verlegen an: „Schöner Abend heute, oder?“. „Ja, ganz toll! Mal davon abgesehen, dass da drinnen nur komische Typen sind, die mich mit ihren Heldentaten zutexten wollen und ich aus lauter Verzweiflung zu viel Schokolade gegessen habe“, plapperte Alice drauf los. „Das tut mir leid“, entgegnete Simon, „wollen wir uns vielleicht wegschleichen und eine Runde durch den Park spazieren gehen?“. Das taten sie dann auch. Alice hakte sich bei ihm ein, legte den Kopf an seine starke Schulter und sie schwebten auf Wolke 7 durch die Nacht.

Am nächsten Morgen fragte der Vater seine Tochter: „Und Alice, wen der prächtigen Kandidaten hast du dir ausgesucht?“. Daraufhin antwortete Alice voller Stolz: „Sein Name ist Simon.“ Soweit so gut, die Sache hatte nur einen Haken, Simon war ja nun leider weder Graf noch Baron, sondern ein einfacher Diener. „Du meinst aber nicht Simon, unseren Diener?“ fragte der Vater verächtlich. „Sprich nicht so über deinen künftigen Schwiegersohn. Ich liebe ihn und daran wirst auch du nichts ändern!“, rief sie zornig. Der König tobte vor Wut: „Das lasse ich niemals zu!“. „Du kannst mir gar nichts vorschreiben“, schrie Alice, stürmte aus dem großen Saal und rannte so schnell sie konnte in ihr Zimmer.

„Na, das werden wir ja sehen“, grummelte der König und begab sich auf den Weg zu einer in der Nähe ansässigen Hexe. „Du musst mir unbedingt helfen, meine Tochter hat sich in unseren Diener verliebt, und das kann und werde ich nicht zulassen!“, berichtete der König. „Da habe ich genau das Richtige für dich!“, sprach die Hexe und reichte ihm einen bläulich-schimmernden Trank. „Wenn du den beiden diesen Trank gibst, ist ihre Liebe ohne Hoffnung“ und dabei kicherte sie teuflisch. „Du brauchst ihnen den Trank nur in ihre Getränke zu träufeln und ihre Liebe zerbricht.“

Eilig macht sich der König wieder auf den Weg ins Schloss. Niemand sollte erfahren, dass er bei der Hexe gewesen war.

Gegen Abend fing er an, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und lud die beiden Verliebten zum Abendessen ein. Anfangs war Alice sehr misstrauisch, aber dann willigte sie doch ein und ging mit Simon in den Speisesaal. Was sie beide nicht wussten: in ihren Gläsern befand sich bereits der Zaubertrank.

Nach dem Essen waren sowohl Alice als auch Simon sehr müde und gingen früh zu Bett. Im Morgengrauen kam Simon in ihr Zimmer, da er sich so seltsam fühlte und nach ihr sehen wollte. Sie hatte ihn gerade hereingelassen, da passierte es auch schon: Nebel stieß durchs Fenster, umhüllte Simon wie eine kalte Hand und umklammerte seinen Körper. Stück für Stück verwandelte er sich in einen starken Hirsch. Alice erschrak fürchterlich, rannte aus dem Zimmer zu ihrem Vater und schrie: “Was hast du getan? Ich bleibe bei ihm, egal, was passiert!“ Mit diesen Worten lief sie zurück zu ihrem geliebten Hirsch und beide verließen eilig das Schloss. Der König verstand erst, als er seine Tochter auf einem Hirsch davonreiten sah, was für einen riesengroßen Fehler er gemacht hatte. Doch es war zu spät.

Die beiden irrten ziellos durch den Wald, weil sie nicht wussten, was sie sonst tun sollten. Plötzlich baute sich ein Jäger bedrohlich vor Alice und Simon auf und legte auf den Hirsch an. Alice erschrak und stellte sich schützend vor ihren Geliebten. „Geh zur Seite, Mädchen, wenn du nicht willst, dass ich dich auch erschieße!“, sagte der Jäger forsch. „Wage es nicht, diesen Hirsch anzurühren. Er ist ein Hirsch des Königs! Und wenn du ihn tötest, wirst du es bitter bereuen!“, rief Alice und versuchte dabei ihre Angst um Simon zu überspielen. Der Jäger gab klein bei, denn mit dem König wollte er sich nicht anlegen. 

Abends kamen sie zu einer kleinen Hütte. Dort wollten sie die Nacht verbringen und in Ruhe überlegen, was sie als Nächstes tun sollten. Als die Sonne langsam unterging, kam wieder der gleiche weiße Nebel und umhüllte diesmal beide.

Voller Hoffnung sah Alice, wie Simon langsam wieder zu einem Menschen wurde. Sie wollte ihn in ihre Arme schließen, aber als sie ihre Arme ausbreitete, hatte sie Flügel – die Flügel einer Eule. Mit Entsetzen musste Simon nun mit ansehen, wie die kalte Hand des Nebels Alice in eine Eule verwandelte.

Und so geschah es jeden Morgen und jeden Abend. Immer wenn die Sonne aufging, wurde Simon zu einem Hirsch, und wenn die Sonne unterging, verwandelte sich Alice in eine Eule. Durch den weißen Nebel der Verwandlung sahen sie sich immer nur für Bruchteile von Sekunden als Menschen und konnten sich nie berühren.

Doch sie wollten die Hoffnung nicht aufgeben, denn ihre Liebe war das Einzige, was ihnen noch geblieben war.

Nach einer langen Wanderung kamen sie an einem Ziegenstall. Dort wollten sie die Nacht verbringen. Im Morgengrauen wurde Simon, wie jeden Tag, zu einem Hirsch, aber diesmal wurden sie beobachtet. In der Tür des Stalls stand ein junges Mädchen, das sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Simon stieß ein leises Röhren aus und Alice sagte sanft: „Hab keine Angst, er tut dir nichts. Er ist mein Freund“ und dann erzählte sie dem Mädchen die ganze Geschichte. Das Mädchen hieß Lilly und wollte den beiden helfen: „Wenn es etwas gibt, was ihr tun könnt, dann weiß das bestimmt meine Oma. Sie ist eine weise Frau und kennt sich mit Zauber aus. Ich bringe euch zu ihr! Bleibt hier im Stall, bis ich heute Nacht wiederkomme!“

Als endlich die Nacht hereinbrach, kam Lilly wieder und begleitete Simon und die Eule Alice zu ihrer Großmutter, die am Rande des Dorfes in einem verwunschenen Haus wohnte.

Simon erzählte der Großmutter ihre Geschichte, da Alice als Eule nicht viel mehr als „Schu-Schuuu“ herausbrachte.

Die alte Frau hörte ihm geduldig zu und sprach: „Das ist ein sehr starker Zauber, aber es gibt Hoffnung. Er kann nur gebrochen werden, wenn ihr, wenn Tag und Nacht sich vereinen, auf dem Berg, der niemals ganz zu sehen ist, die Lichtung mit dem Stein der Hoffnung findet und dort eure Stirn aneinanderlegt“. 

Simon sah die alte Frau ungläubig an. Was sollte „wenn sich Tag und Nacht vereinen“ bedeuten? Aber Alice schien verstanden zu haben, denn sie flatterte aufgeregt mit den Flügeln. Sie packte Simon mit ihren Krallen ein bisschen unsanft am Ohr und zog ihn nach draußen. Dort scharrte sie das Wort „Sonnenfinsternis“ in den Boden. Die alte Frau lächelte: „In zwei Tagen ist es soweit, ihr müsst euch beeilen!“.

Sie warteten bis zum Morgengrauen, denn auf einem Hirsch kann man sich, wer hätte das gedacht, viel schneller fortbewegen als zu Fuß. Sobald sich Simon verwandelt hatte, ritten Alice und Lilly auf ihm davon. Sie brauchten nicht sehr lange, um den Berg, dessen Spitze man niemals sieht, zu finden.

Der Aufstieg war lang und beschwerlich, aber schließlich schafften sie es, die dicke Nebelschicht, die den Gipfel des Berges umhüllte, zu durchbrechen. Vor ihnen lag die Lichtung mit dem Stein der Hoffnung. Sonnenstrahlen tanzten auf den Blättern der umstehenden Bäume und es war, wie soll man sagen, einfach nur magisch. 

Erschöpft schlugen sie am Rand der Lichtung ihr kleines Lager auf und schliefen sofort ein. 

Kurze Zeit später weckte Lilly die beiden: „Ich glaube, es ist bald soweit!“ Sie deutete aufgeregt auf die Sonne, die sich langsam verfinsterte. Hastig kletterten Alice und Simon auf den Stein der Hoffnung. Für den Hirsch war das alles andere als leicht, da der Stein steil und glitschig war. Lilly und Alice schafften es gemeinsam, Simon nach oben zu ziehen und Alice legte ihre Stirn an die des Hirschs.

Die Sonne verdunkelte sich immer weiter, bis nur noch ein blasser Schimmer die Lichtung erhellte. Plötzlich drangen zwei goldene Strahlen aus ihren Herzen, vereinten sich und schossen in Richtung verdunkelter Sonne. Der Bann ward gebrochen. Simon verwandelte sich in einem Schauer goldenen Lichtes zurück in einen Menschen. Wie von Zauberhand wurde es gleißend hell und die Sonnenfinsternis endete so schnell wie sie gekommen war. Die beiden fielen sich glücklich in die Arme und küssten sich. Auch Lilly war überglücklich und freute sich für die beiden.

Zusammen beschlossen sie, Alices Vater noch eine Chance zu geben und zogen gemeinsam los in Richtung Schloss.

Der König war sehr erleichtert, als er seine Tochter und Simon zurückkommen sah. Er bereute, was er getan hatte, und entschied, dass Alice und Simon heiraten dürfen. Er veranlasste auch, dass die Hexe verbannt wurde und das Mädchen mit ihrer Oma ins Schloss ziehen konnte.

Schon bald wurde eine magische Hochzeit gefeiert. Alice und Simon hatten die Hoffnung auf ihre Liebe nie aufgegeben und der König hatte eingesehen, dass man wahre Liebe nicht brechen kann. 

Höre niemals auf zu hoffen, denn Hoffnung ist eine starke Kraft, die in jedem wohnt.

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Hoffnung (Juliane Braunmüller, 10B)

 

Das tapsende Geräusch kleiner Pfoten hallte durch die Gasse und wurde schließlich von dem dichten Schnee geschluckt, der inzwischen die Stadt bedeckte. Dächer, Straßen, Wiesen, alles war mit winzigen Eiskristallen überzuckert, pünktlich für Weihnachten. Alles sah wunderschön und friedlich aus, als wäre das Leben perfekt. Wenn man sich die Welt im Großen ansah, war es so – doch im Detail sah es ganz anders aus. So auch für die Besitzerin der Pfoten. Eine junge, hell getigerte Katze, die ohne Rückzugsort an den Häusern entlangschlich, um zumindest etwas vor der Kälte geschützt zu sein. Vorsichtig versuchte sie, nur dort hinzutreten, wo kein Schnee lag, doch war dies fast unmöglich und sie kam nicht umhin, dass ihre Pfoten fürchterlich froren. 

Helles Licht, das aus dem Fenster eines nahen Hauses drang, erweckte ihre Aufmerksamkeit und neugierig sah sie hinüber. Sie sah sich kurz um, vielleicht gab es ja etwas Interessanteres. Da dies jedoch nicht der Fall war, trat sie von der Hauswand weg und huschte flink über die Straße. Auf der anderen Seite sprang sie auf den Zaun hinauf und richtete die Augen auf das Innere des Hauses. Die Menschen saßen gemütlich um einen Kamin herum und tranken Tee und Kaffee. Ein Hund lag zu ihren Füßen und bemerkte die Katze. Fast schon provozierend räkelte er sich und biss dann beherzt in den Knochen, der vor ihm lag. Wie auf Kommando meldete sich das nagende Hungergefühl bei der Katze. Gefressen hatte sie seit langem nichts Richtiges mehr. Sie schaffte es nur schwer, den Blick von dem Futternapf des Hundes abzuwenden, der fast überquoll vor lauter Futter. Dort drinnen sah es so warm und kuschelig aus, Decken und Kissen alle mit flauschigen Bezügen, neben dem Kamin auch noch eine Heizung und zudem die Lampe, die das Bild in ein goldenes Licht tauchte. Alles, wirklich alles würde die Katze für so ein Leben geben. Sogar die Arztbesuche, vor denen sich viele Tiere scheuten, würde sie brav über sich ergehen lassen. Wussten die denn überhaupt, wie gut es ihnen ging? Auf der anderen Seite der Mauer war es dunkel, kalt und der Zaun sowie die Straßen hart. Nicht einmal die Wiese war mehr weich, da sich unter dem weich wirkenden Schnee eine hinterlistige Eisschicht befand. Diesen Fakt hatte die Katze erst vor kurzem selbst schmerzhaft festgestellt. Vorsichtig sprang sie von dem Zaun herab und kletterte auf den kleinen Baum in dem Garten der Familie, um näher an dem Haus zu sein. Ganz leise konnte sie die Menschen sprechen hören. Neugierig spitzte sie die Ohren und lehnte sich noch näher an das Fenster heran. Ein Mann erklärte seinen Kindern etwas über ‘Weihnachten‘. Die Katze wusste, dass es einen Feiertag der Menschen gab, der so hieß, mehr wusste sie aber nicht. Viel hörte sie nicht, aber genug, um den Kern zu verstehen. Sie feierten Weihnachten als das Fest der Hoffnung und es ging wohl viel um Liebe und Zusammenhalt. Durfte die Katze an so etwas glauben? Gemeinschaft? Zuneigung? Hoffnung? Zweifelnd trat sie von einer Pfote auf die andere. Hoffnung hatte sie einst viel gehabt, doch inzwischen hatten durchgängiger Hunger und Kälte Oberhand gewonnen. Nur noch ein kleiner Funke in ihr hatte noch nicht aufgegeben. Plötzlich stand der Mann auf, stellte sich vor das Fenster und fuchtelte wild mit den Armen umher, um die Katze zu vertreiben. Verängstigt sprang sie von dem Baum herunter, über den Zaun und rannte zurück über die Straße. Scheinwerfer glitten über ihr Fell und ein Mensch schrie ihr nach, als sie noch schneller weglief. Die Gasse entlang, rechts abbiegen und hinter der silbernen Mülltonne verstecken, es war schon fast eine Routine. Jedes Mal wurde sie wieder verscheucht und verschwand auf dieselbe Weise. Bisher hatte sie niemand hinter der Tonne gefunden und auch heute zeigte sich ihr blecherner Freund als perfekter Sichtschutz.

Während sie sich versteckt hielt, ließen sie die Worte des Menschen nicht los. Durfte sie immer noch hoffen, auf bessere Tage, vielleicht sogar ein Zuhause? Durfte sie das? Und konnte sie das? Hoffnung war so einfach zu sagen, sie zu haben und zu erhalten war jedoch um einiges schwerer. Erst als der Mond aufgegangen war, traute sich die Katze wieder heraus. Mehr rutschend als laufend kam sie schließlich aus der Gasse und reckte den Kopf, um ihre Umgebung besser wahrzunehmen. Alles war still, aufgrund der Jahreszeit konnte man nicht einmal Grillen zirpen hören. Wie früher an dem Tag knurrte der Magen der Katze und verzweifelt drehte sie sich hin und her. Im Winter war es viel schwieriger, auf der Straße an etwas Essbares zu gelangen. Das meiste war verfault und Dosen ausgespült, damit der Müll nicht stank und alles war eiskalt. Hatten die Menschen nicht selbst das Sprichwort „Des einen Müll ist des anderen Schatz“ erfunden? Warum konnte die Katze dann nicht die Essensreste bekommen? Den Menschen brachten sie sowieso nichts mehr, auch nicht runtergespült im Klo oder im Waschbecken.

Ein äußerst verlockender Duft umschmeichelte auf einmal die Katze und interessiert hob sie ihre Ohren, welche sie zum Schutz vor dem Wind angelegt hatte. Kurz musste sie sich orientieren, bevor sie endlich dem Geruch folgen konnte. Er führte sie einige Häuser weiter und wurde mit jedem Schritt intensiver und anziehender. Immer schneller tapste sie durch den Schnee und zwängte sich dann zwischen einem hölzernen Zaun hindurch. Ihre Verfolgung endete vor einer Hauswand direkt unter dem Fensterbrett. Sie konnte das köstliche Essen regelrecht vor sich sehen, so stark roch es inzwischen danach. Dennoch rang sie mit sich. Falls sie dort hinaufsprang, würde sie höchst wahrscheinlich sofort verscheucht oder gar angegriffen werden. Andererseits hatte sie bereits Schmerzen vor lauter Hunger und musste dringend etwas essen, wenn sie überleben wollte und etwas Besseres fand sie sicherlich nicht so schnell. Kurz sammelte sie sich, denn jetzt brauchte sie allen Mut, den sie aufbringen konnte. Dort oben war es warm und es gab Essen und ganz vielleicht, keine Menschen. Darauf musste sie einfach hoffen. Sie trat ein paar Schritte zurück und duckte sich in den Schnee. Mit gespitzten Ohren wartete sie kurz, bevor sie sich kraftvoll vom Boden abdrückte und sicher auf dem Fensterbrett landete. Der erste Schritt war geschafft. Sofort kauerte die Katze sich wieder zusammen und ihre Augen huschten durch den Raum. Ein Tisch stand in der Mitte, befüllt bis zum Rand mit fantastisch riechenden Speisen. Im Moment war tatsächlich kein Mensch zu sehen und erleichtert sprang sie durch das glücklicherweise offene Fenster auf den Boden und schnurrte genießend, als sie die Bodenheizung deutlich unter den kalten Pfoten spüren konnte. Ein paar weitere Sätze und schon befand sie sich auf dem Tisch. So viel Essen und kein Mensch weit und breit, das musste der Himmel sein. Um die Chance nicht zu verspielen, machte sie sich sogleich daran, einen Leckerbissen nach dem anderen aus dem Gänsebraten zu beißen. 

Vertieft in ihre Mahlzeit bemerkte sie den kleinen Jungen nicht, der sprachlos und mit funkelnden Augen die Katze beobachtete. Leise ging er um den Tisch herum und schloss das Fenster, um die Kälte auszusperren. Das Geräusch schreckte die Katze sofort auf. Blitzschnell sprang sie vom Tisch und stieß dabei mehrere Gläser um, deren Inhalt sich auf der Tischdecke und dem Boden verteilte. Als sie das geschlossene Fenster sah, wurde sie noch ängstlicher. Flink änderte sie die Richtung und rannte geradewegs in eine Gruppe von Menschen hinein, die in dem angrenzenden Raum standen. Wild begannen einige auf sie zu deuten und riefen etwas. Die Katze selbst war in eine Schockstarre gefallen. Es war ein riesiger Fehler gewesen hier reinzukommen und gleich würde sie wohl den echten Himmel begutachten können, da war sie sich sicher. Ihre Hoffnung hatte sie verraten, soviel zu keinen Menschen! Plötzlich schlangen sich Arme um ihren Bauch und sie wurde an eine warme Brust gedrückt. „Schaut mal! Die hat auch Braten gewollt!“, rief der Junge ganz außer sich vor Freude und knuddelte die Katze liebevoll. „Oh, sie ist ganz kalt“, fügte er bestürzt hinzu und lief dann zu dem Kamin hinüber, um sich mit der Katze im Arm davor auf den Boden plumpsen zu lassen. Diese war noch zu verwirrt, als dass sie sich gegen die Kuschel-Attacke hätte wehren können. Gerade wollte sie sich aus der Umklammerung befreien, doch da überkam sie die angenehme Wärme, die von dem Feuer sowie dem Jungen ausging. Ab da begann sie zu schnurren und drückte sich sogar an ihn heran, was dieser mit einem Kichern und Streicheln quittierte. Zufrieden reckte sie sich seiner Hand entgegen und blendete alle anderen Menschen aus. In diesem Moment wollte sie nicht an das Kommende denken. Dieser eine Augenblick war das, auf was sie immer gehofft hatte. Einen zumindest halb vollen Magen, Wärme und Liebe. Gerade hatte sie alle drei Dinge und würde liebend gern für immer so daliegen. 

Tatsächlich schaffte es der Junge, dass die Katze ab sofort zur Familie gehörte und sie so viel an Essen, Wärme und Liebe bekommen würde, wie sie wollte. Zwar war das ruinierte Weihnachtsessen kein so guter Start, aber nach etwas Zeit lachten alle nur noch darüber, dass der kleine Flauschball so ein Durcheinander hatte anstellen können. Die Katze selbst realisierte das Ganze erst Wochen später so richtig und kostete jede noch so kleine Zuneigungsbekundung vollends aus. Das war nun ihr Zuhause und ihre Familie. 

Letztendlich auch ihre Hoffnung.

 

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Tagebuch der Hoffnung  (Antonia Thewalt, Q12)

 

Samstag, 14. Januar 2023, 2:15

Mein Wecker klingelt. Eine unmenschliche Uhrzeit, zumal am Samstag. Dennoch bin ich sofort hellwach, denn heute ist ein besonderer Tag. Mit vier Freunden fahre ich nach NRW, genauer gesagt nach Lützerath. Wir wollen uns dem Protest gegen die Zerstörung des Dorfes durch die Braunkohlebagger des RWE Konzerns anschließen.

 

Lützerath ist ein kleiner Weiler in der Nähe von Mönchengladbach. Der Energieversorgungskonzern RWE plant, Lützerath vollständig abzureißen, um den Tagebau Garzweiler auszudehnen[1]. In Garzweiler wird Braunkohle abgebaut, die anschließend zu einem großen Teil verstromt wird. Strom aus Braunkohle ist jedoch ziemlich klimaschädlich, aufgrund der hohen CO2-Emmissionen trägt er maßgeblich zu den deutschen Emissionen und damit zum Klimawandel bei. Von der massiven Umweltzerstörung durch den Tagebau ist hier noch gar nicht die Rede.

 

Samstag, 14. Januar, 11:51

Seit einer halben Stunde warten wir schon auf den Bus vom Bahnhof Erkelenz nach Lützerath. Die Verantwortlichen der Demonstration haben zwar Shuttle-Busse organisiert, allerdings haben sie mit einer weitaus geringeren Zahl an Menschen gerechnet, entsprechend wenige Busse sind eingeplant.

Als wir nun endlich Platz in einem Shuttle bekommen und dieses uns nach zehn Minuten Fahrt wieder ausspuckt, sind es noch 7 km zu laufen. Wir sind jedoch nicht allein: der Menschenzug hin zur Demonstration ist so lang, dass man weder vorne noch hinten ein Ende sieht. 

 

Bereits seit zwei Jahren besetzen Aktivist:innen Lützerath nach dem Vorbild des Hambacher Forsts. Nach zahlreichen Rechtsstreitigkeiten und einem politischen Deal wird das Dorf nun seit dem 11. Januar geräumt. Der Deal, den Grüne Minister:innen mit RWE geschlossen haben, sieht wie folgt aus: Fünf weitere Dörfer, die eigentlich ebenfalls dem Schaufelradbagger zum Opfer gefallen wären, bleiben stehen, außerdem ist mit dem Braunkohleabbau in NRW schon 2030 Schluss. Im Gegenzug darf RWE nun kurzfristig mehr Kohle abbauen und verfeuern als im Kohleausstiegsabkommen von 2018 ursprünglich festgelegt ist[2]. Begründet wird dies mit Deutschlands Energiesicherheit, jedoch kommen mehrere Studien zu dem Ergebnis, dass die Kohle unter Lützerath nicht gebraucht wird. 

Ob Lützerath nun entscheidend für das Erreichen des 1,5° Ziels ist oder nicht, darauf bekommt man keine eindeutige Antwort. Ein Symbol ist der Ort jedoch alle Mal.

 

Samstag, 14.1, 14:08

Wir stehen am Rand des Tagebaus. Dass dies wegen Erdrutschgefahr lebensgefährlich sein kann, erfahren wir erst im Nachhinein, kein Schild und kein Mensch weisen darauf hin. Sowieso bin ich gerade mit etwas anderem beschäftigt: dem Ausblick auf diese Wüste, die sich Braunkohleabbaugebiet nennt. Es ist eine Grube gigantischen Ausmaßes, dank des leichten Nebels sieht man das Ende nicht. Es ist nicht eine steile, tiefe Schlucht, sondern ein terrassenförmig abgestuftes Gebiet. Hier und da steht einer dieser riesigen Schaufelradbagger, Symbol deutscher Ingenieurskunst - und Umweltzerstörung. Neben dem Bagger sind Leitungen und ein Förderband auf der Erde aufgestellt. Unten in der Grube stehen einige weiße Pick-Ups und ein paar Menschen mit Helmen und orangen oder gelben Warnwesten, die ein wenig ratlos drein gucken. 

Beim Anblick dieses Monsters von Tagebau überkommt mich ein mulmiges Gefühl. Er ist ein Zeichen des massiven Raubbaus, den der Mensch an der Erde betreibt. Und ich stehe am Rand, und fühle mich verantwortlich und gleichzeitig unglaublich klein. Und machtlos. Gegenüber all jenen, die blind und aus Profitgier meine Zukunft zerstören. 

 

Dieses Gefühl ist nicht neu. Schon bei der ersten FridaysForFuture Demonstration in München im Januar 2019, damals war ich 13, war ich an der Organisation beteiligt, da ich mich gegen die Zerstörung meiner Zukunft wehren wollte. Ich malte Banner und machte Werbung. Immer wieder war ich seitdem mit FFF auf der Straße, irgendwann auch in Grafing. Diese Bewegung hat mich politisiert – und mir das Gefühl gegeben, es gibt noch Hoffnung, wir können etwas tun. Doch dann kam die Corona Pandemie und große Menschenansammlungen wurden Tabu – Gift für eine Bewegung, deren Wirkung auf der Straße entsteht. Das Gefühl der Machtlosigkeit, es war wieder da.

 

Samstag, 14. Januar, 15:23

Inzwischen sind wir ganz nah an Lützerath selbst dran, wir stehen vielleicht 200 Meter von den Gebäuden weg. Das Dorf ist mit einem großen Aufgebot an Hundertschaften aus ganz Deutschland abgesichert: eine Reihe Polizisten – nicht die netten Streifenpolizisten, die Grafinger Jugendlichen ihre Zigaretten wieder zurückgeben, obwohl sie noch nicht 18 sind – sondern die in schwarz, mit Helm, schutzsicheren Westen,  ausgerüstet mit Pfefferspray und Schlagstock (offiziell: Mehrzweckeinsatzstock). Davor ein Zaun und eine Reihe Autos. Davor wieder Polizisten. Dann erst einmal 100 Meter Feld –  dann wieder eine Reihe Polizisten, die auf einem Wall stehen. Die Demonstrierenden skandieren Sprüche, die Stimmung ist ein wenig emotional, aber friedlich. Dann gibt es etwa 200 Meter von uns entfernt wohl eine Auseinandersetzung, wir sehen nur, dass Pfefferspray eingesetzt wird. Die Stimmung wird gespannter. Dann fangen die Polizisten 20 Meter vor uns an, provokant ihre Mehrzweckstöcke und das Pfefferspray in die Hand zu nehmen und herumzuschwenken. Die Menschen skandieren: „Wir sind friedlich. Was seid ihr?“. Wir zünden uns erst mal eine Zigarette an. Dann plötzlich weichen die Polizisten zurück: an anderer Stelle wurde die Kette durchbrochen. Alle drängen nach vorne, auf einmal stehe ich dort, wo grade noch ein Polizist stand. Vorsichtig nähert die Menge sich der letzten Polizeikette vor Lützerath. Nun werden drohend Wasserwerfer aufgefahren. Wir sehen nicht, was vorne passiert, meine Gruppe und ich wollen nicht von den Polizisten geknüppelt werden, deshalb halten wir Abstand. Bis auf einen missglückten Wasserwerfereinsatz (der Wind weht das Wasser wieder zu den Polizeistellungen zurück) passiert nichts mehr. Eine Stunde später machen wir uns auf den Heimweg.

 

Eigentlich sind die eben beschriebenen Szenen nichts Besonderes. Wie immer streiten sich im Nachhinein alle, wer nun die Schuld an der Gewalt trägt, doch weiter passiert nichts. Solche Szenen habe selbst ich schon das eine oder andere Mal gesehen. Doch irgendwie ist dieses Polizeiaufgebot auch ein Symbol. Ein Bild sticht hierbei besonders hervor, ich habe es auf Twitter gesehen: Es ist beinahe dunkel, wahrscheinlich war es ein regnerischer Abend. Im Hintergrund sieht man einen gigantischen Schaufelradbagger, er ist beleuchtet. Vor ihm auf der Wiese stehen drei oder vier Polizisten in der oben beschriebenen Uniform.

Später werde ich dieses Bild meinen Kindern zeigen: „Seht mal, dieser Bagger steht symbolisch für die Konzerne, die euren Planeten zerstört haben. Und da, da ist der Staat, der sich schützend davor gestellt hat und mit Gewalt gegen alle vorgegangen ist, die sich gegen den Wahnsinn gewehrt haben.“

 

Sonntag, 15. Januar, 13:00

Heute Nacht um halb drei kam ich wieder zu Hause an, nach einem sehr anstrengenden Tag. Jetzt lese ich die Nachrichten und sehe die Bilder und Videos in den sozialen Medien. 35 000 Menschen statt den erwarteten 8000 demonstrierten in Lützerath! Natürlich gibt es Diskussionen um die Gewalt, aber auch Bilder, die Menschenmassen zeigen, die  sich friedlich dem Kohleabbau entgegenstellen.

 

Diese Demonstration war wichtig für mich. Ich bin verzweifelt. Neulich brach ich weinend zusammen und machte meiner Mutter Vorwürfe für die Fehler ihrer Generation, obwohl sie natürlich nicht persönlich dafür verantwortlich ist. Ich weiß einfach nicht wohin mit der Wut, der Verzweiflung. Aber dort auf dem Feld zu stehen, mit 35 000 anderen Menschen, und gegen die Zerstörung und den Wahnsinn aufzustehen, das gibt mir Hoffnung. 

Lasst uns gemeinsam für eine bessere Zukunft kämpfen!


( [1] Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%BCtzerath

[2] Quelle: https://www.wr.de/wirtschaft/es-geht-um-den-gruenen-pakt-mit-rwe-nicht-um-luetzerath-id237332949.html)